mitDemenzleben – die neue Folge der Videokolumne mit Sophie Rosentreter ist online

Sophie Rosentreter spricht in dieser Ausgabe von mitDemenzleben über die Do’s und Don’ts im Umgang mit Menschen mit Demenz. Welche Dinge sollte man vermeiden und welche Dinge kann man im Besonderen tun, damit sich beide Seiten wohler fühlen. Warum man Menschen mit Demenz nicht mit Kindern vergleichen sollte und was mit „Kommunikation auf Augenhöhe“ gemeint ist, erfahren Sie in dieser Videokolumne.

Text zum Video

Hallo, ich bin Sophie Rosentreter. Willkommen zu meiner Videokolumne „mitDemenzleben“. 

Heute möchte ich über Dos and Don’ts im Umgang mit Menschen mit Demenz sprechen. 

Und anfangen möchte ich mit den Dos – mit der Ehrlichkeit. Ja, bitte seien sie ehrlich!
Ein Beispiel: Bei einer Schulung von mir hat mir eine Pflegerin erzählt, dass Folgendes bei ihr passiert ist: Sie war komplett genervt, hatte einen schlechten Tag und hatte sich mit einer anderen Mitarbeiterin gestritten. Sie ist daraufhin rausgegangen und brauchte dringend eine Raucherpause. Als sie da draußen stand, kam ihre Lieblingsbewohnerin, demenziell verändert, auf sie zu. Sie zwang sich ein Lächeln ab, weil man das ja aus Höflichkeit so macht, und sagte „Na, Frau Meier, wie geht es Ihnen denn?“ Und Frau Meier guckte sie durchdringend an und sagte dann: „Sie lachen, aber ihre Augen lachen gar nicht.“

Menschen mit Demenz spüren, ob wir etwas ehrlich meinen oder nicht. Wir denken immer, wir müssen stark sein, gerade als pflegende Angehörige, aber das bringt ein Ungleichgewicht und tut uns auch nicht gut.

Erich Schützendorf sagte mal zu mir: Wenn Menschen mit Demenz Grenzen überschreiten, dann darf man, ja soll man sogar zeigen, wenn es einem weh tut, wenn man verletzt ist. Was dann ganz oft passiert, ist, dass die Menschen mit Demenz das merken, dass sie diese Grenze überschritten haben. Und sich das auf einmal umdreht und sie anfangen, sich zu kümmern oder abzulenken. 

Das bedarf natürlich zweier Fähigkeiten: Zum einen Mut zu haben, ehrlich zu sein, zum anderen auch die Fähigkeit, schnell verzeihen zu können. Seien sie nicht nachtragend bei Menschen mit Demenz.

Zweiter Punkt, zweites Do:  Mit Langsamkeit geht‘s schneller.
Setzen sie Pausen, halten sie Pausen aus. Und dann stellen sie – drittes Do – offene Fragen, die ich mit Ja oder Nein in meiner fortgeschrittenen Demenz beantworten kann. Das ist viel einfacher für mich. Und wenn sie zum Beispiel die Frage stellen „Möchtest Du Tee oder Kaffee?“, dann am besten Kaffee oder Tee zeigen, das macht es noch einfacher für mich.

Viertes Do:  Immer auf Augenhöhe – nicht nur vom Herzen her, sondern tatsächlich auch physisch.
Das Sichtfeld verändert sich mit der Erkrankung, es wird eingeschränkter und deshalb sollten Sie sich immer die Mühe geben, sich runter zu beugen und auf Augenhöhe zu gehen.

Dazu eine schöne Geschichte, die ich selber beobachtet habe, in einem Begegnungsraum. Dort saß eine demenziell veränderte Dame und ich beobachte sie. Plötzlich kam eine supersüße Pflegerin von hinten, meint es gut, greift ihr auf die Schultern und sagt „Na Frau Meier, geht‘s Ihnen gut?“ – und für Frau Meier brach eine Welt zusammen. Wer fasst mich von hinten an? Also, bitte immer die Zeit nehmen, einmal rumzugehen, die Hand auflegen, Aufmerksamkeit sicherstellen und dann das sagen, was man gerne sagen möchte. Und dabei auch Pausen aushalten.

Kein Überzeugungswahn
Das machen wir pflegende Angehörige gerne mal, meinen es oft gut, wollen dann von unserer Realität überzeugen.

Bei meiner Großmutter war es so, dass sie irgendwann runterkam, völlig aufgelöst, und meinte „Oh Gott, da stand ein Mann bei mir im Schlafzimmer, die ganze Nacht, und hat mich beobachtet!“. Sie war völlig in Panik. Was sagten wir? „Omi, das kann doch nicht sein, denk doch mal nach“ (super Satz). „Wer soll denn da zu dir kommen? Wir haben einen Schlüssel. Du hast einen Schlüssel. Es war abgeschlossen, da war niemand bei dir“. Der Versuch, einen Deckel drauf zu machen. Und das ist falsch! Omi war der festen Überzeugung, dass da jemand stand. Wahrscheinlich hing da der Bademantel und noch ein Schatten dazu und eine schlechte Erinnerung und dann bastelt sie sich da jemanden hin. Da hätte ich viel mehr in ihre Welt einsteigen müssen, ihre Gefühlswelt wahrnehmen. Nicht unbedingt bestätigen, was sie gerade gesagt hat, also den Inhalt, sondern ihr Gefühl bestätigen und sagen: „Oh Gott, wie furchtbar, da hattest Du Angst, oder?“ Und dann kann man ja gucken, ob man den Bademantel weghängt.

Don‘t do die Wir-Form, wenn es nicht wirklich so gemeint ist!
Sprich „Wir gehen jetzt duschen“… Wenn das wirklich der Wahrheit entspricht, dass wir beide jetzt duschen gehen, dann sagen Sie das.

Wenn das bedeutet: „Ich begleite dich jetzt ins Badezimmer und helfe Dir beim Duschen“, dann sagen Sie das bitte!

Und als letztes Don‘t: Bitte nicht über meinen Kopf hinweg sprechen, wenn ich demenziell verändert bin und mit im Raum bin.
Zum Beispiel bei Arztgesprächen oder Freunden. Ich kann mich vielleicht nicht mehr so gut ausdrücken über die Sprache, aber ich bekomme das voll mit. Bitte integrieren Sie mich.

Und als Letztes: Menschen mit Demenz werden gerne mal mit Kindern verglichen. Das birgt eine große Gefahr, weil dann verniedlichen wir sie, verkindlichen sie und begegnen ihnen eben nicht mehr auf Augenhöhe. 

Menschen mit Demenz stehen am Ende ihres Lebens, Kinder am Anfang. Menschen mit Demenz – das ist jetzt die Nachkriegszeit oder vielleicht gerade noch so die Kriegsgeneration, die haben Hunger und Leid, vielleicht auch Gewalt am eigenen Leibe miterlebt. Die Fußspuren auf der Seele sind heute noch da und die prägen auch ihr Verhalten. Insofern bitte nicht verkindlichen.

Aber Menschen mit Demenz und Kinder haben eines gemeinsam. Ihre gemeinsame Sprache ist die Sprache der Gefühle. Der Verstand steht da nicht im Weg, sondern der Motor ist das Gefühl. Und deshalb können Kinder und Menschen mit Demenz auch ganz schnell zusammenfinden und das sieht man bei so wunderbaren Projekten wie Generationsbrücke Deutschland.  Das sind Kinder aus Kindergärten oder Grundschulen, die Patenschaften mit Bewohnern aus stationären Einrichtungen übernehmen. Das erste Mal, wenn sie sich sehen, malen sie sich gegenseitig die Hände aus Berührung ist also sofort da und damit auch Nähe. Das ist wirklich entzückend. Ich bin der festen Überzeugung, dass es ganz wichtig ist, Kindern solche Themen wie Krankheit, Alter, Demenz und Tod auch mitzugeben. Und so haben wir vielleicht auch die Chance, dass junge Leute sagen, das ist ein Thema für mich. Ich möchte mitwirken und helfen, dass die Wertigkeit der Pflege eine andere wird in unserer Gesellschaft.

Trauen wir unseren Kindern bitte mehr echtes Leben zu. 

Bis zum nächsten Mal!