Barrierefreien Wohnraum schaffen

„Wir bauen die falschen Wohnungen“, sagt Prof. Dr. Thomas Jocher vom Institut Wohnen und Entwerfen (IWE) der Universität Stuttgart. Denn in Deutschland sind die wenigsten Wohnungen so gebaut, dass Menschen ein Leben lang darin wohnen können – aktuell sind nur wenige Prozent von ihnen barrierefrei. Ältere Bürgerinnen und Bürger finden daher nur sehr schwer Wohnraum, der ihren Bedürfnissen optimal entspricht. In vielen Fällen müssen sie also früher oder später über einen altersgerechten Umbau des eigenen Zuhauses nachdenken.
In unserem Interview erklärt Prof. Dr. Jocher, was genau Begriffe wie „barrierefrei“ oder „barrierearm“ bedeuten, warum Planungs- und Umbauflexibilität ein wichtiges Kriterium für Wohnungen und Häuser ist und was es bei einer altersgerechten Umgestaltung des eigenen Zuhauses zu beachten gilt. Zudem stellt er den von seinem Institut entwickelten dreistufigen „ready“-Standard vor, der zeigt, wie ein altersgerechtes Zuhause aussehen sollte.   

barrierefreies Bad

Herr Prof. Dr. Jocher, was sind eigentlich die Unterschiede zwischen „barrierefrei“, „barrierearm“ und „altengerecht“?

Die Begriffe „barrierearm“ und „altengerecht“ sind leider nicht genau definiert. Es gibt weder eine wissenschaftliche noch eine rechtliche Festlegung dazu. Aber der Begriff „barrierefrei“ kann nach der Rechtsprechung durchaus als der Norm DIN 18040 entsprechend angesehen werden. In der Norm DIN 18040 ist beispielsweise festgelegt, welche Breite und Länge die Bewegungsflächen der Räume mindestens haben müssen, damit eine Wohnung oder ein Haus optimal für einen Menschen mit Behinderung geeignet ist. Wohnbaugesellschaften und Vermieter nutzen aber oft lieber schwammige und ungenaue Begriffe wie „barrierearm“, um einen möglichen Rechtsstreit zu vermeiden. 

Prof. Dr. Thomas Jocher

Institut Wohnen und Entwerfen (IWE)
Universität Stuttgart

Welche Kriterien muss eine barrierefreie Wohnung mindestens erfüllen?

Die Norm DIN 18040 enthält sehr genaue Angaben dazu. Allerdings ist sie sehr streng, sodass selbst die Bauordnungen viele Ausnahmen und Befreiungen davon vornehmen. Wir vom Institut „Wohnen und Entwerfen“ haben deshalb versucht, den Begriff „altengerecht“, der ebenfalls vielfältig interpretiert werden kann, etwas genauer zu definieren und zu einer alternativen Norm zu machen. Dabei haben wir drei Stufen der Altengerechtigkeit festgelegt. Diese sind aber an keinerlei rechtliche Verbindlichkeit geknüpft – es sind nur gut gemeinte Hinweise und Empfehlungen.

Im Idealfall sollte die altengerechte Wohnung nach unserem System im „all ready“-Standard geplant werden. Aber das ist schon sozusagen die „S-Klasse“, die sich nicht jeder leisten kann. Deshalb gibt es auch noch die preisgünstigere „A-Klasse“: ready oder ready+

Sie sagen, wir bauen die falschen Wohnungen, und möchten den Leitbegriff „ready“ einführen. Was steckt dahinter?

Dahinter steckt, an „lebenslänglich“ zu denken, das heißt, eine Wohnung für ein langes Leben zu planen. Denn gerade im Alter möchte jeder seine Ruhe und nicht mehr allzu große Dreck- und Lärmaktionen in seiner Wohnung haben. Ein altersgerechter Umbau lässt sich jedoch in manchen Fällen kaum vermeiden. Oft ist ein Umzug in eine kleinere barrierearme Wohnung oder in ein Heim die einzige Alternative dazu.  

Warum ist Planungs- und Umbauflexibilität so wichtig?

Ganz einfach: Weil wir nie genau wissen können, wann und wie es uns „erwischt“. Daher ist eine Wohnung, die sich durch große Umbauflexibilität auszeichnet, für jeden sinnvoll. Das sollte man bei der Suche nach einer neuen Wohnung oder nach einem neuen Haus immer mitbedenken. Wohnungen und Häuser, die smart gebaut sind, bieten dabei auch immer die Möglichkeit des Rückumbaus. Denn jede Person hat andere Lebenswünsche und Wohnvorstellungen und nicht jeder möchte von vornherein eine barrierefreie Version seines Zuhauses haben. Jeder Architekt sollte deshalb auch an die Zukunft denken und sich quasi als Anwalt des Zweitnutzers begreifen. 

Um eine Wohnung oder ein Haus barrierefrei umzubauen, müsste gegebenenfalls eine Wand verschoben oder gar eingerissen werden, damit die Bewegungsfläche vergrößert wird. Geht das überhaupt? Und wie aufwendig und teuer wäre dies?

Eine Wand umzubauen ist überhaupt kein großer Aufwand, wenn bei der Bauplanung an die Möglichkeit eines Umbaus gedacht wurde. Aber wenn nicht daran gedacht wurde und wenn vielleicht sogar die Decke auf der entsprechenden Wand lastet oder die Wand bis zum Rohboden durchgeht und voll installiert ist, dann wird ein Umbau sehr teuer. Ansonsten ist die Wand in kürzester Zeit und ohne großen Aufwand um- oder abgebaut.  

Welche Extras sollte ein altengerechtes Zuhause im Idealfall haben? 

Es gibt verschiedene nützliche Extras, die infrage kommen. Welche die richtigen sind, hängt selbstverständlich von den individuellen Bedürfnissen ab. Für bewegungseingeschränkte Menschen könnten beispielsweise ein Treppenlift oder Handläufe an den Wänden eine gute Alltagshilfe sein. Auch technische Assistenzsystem wie Sturzmelder oder Hausnotrufe sind beliebt.  

Der Tipp des Experten: Wenn Sie über einen Pflegegrad verfügen, können Sie sich den altersgerechten Umbau Ihres Zuhauses von Ihrer Pflegeversicherung sowie von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) bezuschussen lassen. Nehmen Sie diese finanzielle Unterstützung in Anspruch – sie steht Ihnen zu!

Weiterführende Infos: In unserem Bereich „Barrierefrei im eigenen Zuhause“ finden Sie viele nützliche Informationen, Hinweise und Tipps zum Thema altersgerechter Umbau. Informieren Sie sich auch über Zuschüsse und Finanzierungsmöglichkeiten in unserem Artikel über „Förderung“.

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