Harninkontinenz: Formen, Behandlung und Prophylaxe

Harninkontinenz gehört zu den verbreitetsten Beschwerden unter älteren Menschen, wobei Frauen häufiger daran leiden. Aus Scham fällt es Betroffenen schwer, offen über ihr Problem zu sprechen. Manche verzichten sogar darauf, ihren Hausarzt darüber zu informieren und sich helfen zu lassen. Stattdessen zieht man sich aus Angst vor einem „Malheur“ in unpassenden Situationen zurück und es besteht die Gefahr, zu vereinsamen. Dabei gibt es inzwischen gute Therapiemöglichkeiten, die den Patientinnen und Patienten ein großes Stück Lebensqualität zurückgeben können. Welche das sind, erfahren wir von Prof. Dr. Ruth Kirschner-Hermanns vom Universitätsklinikum Bonn. In unserem Interview erklärt sie zudem, welche Risikofaktoren für die Entwicklung einer Harninkontinenz existieren, wie sie sich vorbeugen lässt und was es bei der Intimhygiene zu beachten gilt.

Harninkontinenz

Frau Kirschner-Hermanns, welche Formen der Harninkontinenz gibt es und welche sind am verbreitetsten?

Zunächst einmal sind hier die Drang- und die Belastungsinkontinenz zu nennen, denn sie kommen mit Abstand am häufigsten vor, nicht selten auch als Mischform. Bei der Belastungsinkontinenz verlieren Betroffene unwillkürlich Urin, wenn sie sich körperlich anstrengen, beispielsweise wenn sie lachen, husten oder niesen. Die Dranginkontinenz zeichnet sich hingegen dadurch aus, dass man plötzlich heftigen Harndrang verspürt und den Urin nicht zurückhalten kann, bis man die Toilette erreicht hat. Sie ist die verbreitetste Form unter älteren Menschen.

Des Weiteren gibt es noch die Überlaufinkontinenz, bei der die Blase stets voll ist, da sie nicht richtig entleert werden kann. Wird sie dann zu voll, tritt Urin unkontrolliert aus – es kommt also buchstäblich zum Überlaufen.

Harninkontinenz kann auch auf eine Schädigung des Nervensystems, beispielsweise durch einen Schlaganfall, Multiple Sklerose oder Morbus Parkinson zurückzuführen sein – man spricht dann von einer neurogenen Inkontinenz. Manche Betroffene verlieren hierbei unfreiwillig Urin, ohne dass sie vorher einen Drang verspüren. In anderen Fällen tritt die Symptomatik einer Dranginkontinenz auf.

Prof. Dr. Ruth Kirschner-Hermanns

Universitätsklinikum Bonn

Welche Risikofaktoren für die Entwicklung einer Harninkontinenz gibt es?

Alles, was den Beckenboden schwächt, kann zu einer Belastungsinkontinenz führen. Häufig ist eine Beckenbodenschwächung auf schwere oder mehrmalige Geburtsvorgänge zurückzuführen. Ursache kann aber auch eine übermäßige Belastung des Beckenbodens durch sportliche Aktivität sein, beispielsweise durch intensives Joggen oder Trampolinspringen.

Ansonsten gehören prinzipiell das hohe Alter, Operationen am Beckenboden sowie neurogene Erkrankungen zu den Risikofaktoren für die Entwicklung einer Harninkontinenz.

Wie lässt sich Harninkontinenz vorbeugen?

Als prophylaktische Maßnahme empfehle ich gerade älteren Frauen, ihren Beckenboden durch regelmäßiges Training zu stärken. Außerdem sollten Seniorinnen und Senioren darauf achten, dass sie nicht zu häufig und nicht zu selten auf Toilette gehen. Die goldene Regel ist: etwa alle drei Stunden. Bei Menschen mit Demenz können pflegende Angehörige hier ein Ritual etablieren: Sie reichen der betroffenen Person fünfmal am Tag ein großes Glas Wasser, anschließend folgt dann jeweils der Toilettengang.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es bei Drang- oder Belastungsinkontinenz?

Je nach Ursache für die Inkontinenz kann neben der konservativen Therapie eines Blasen- und Beckenbodentrainings eine medikamentöse Behandlung eingeleitet werden. Frauen können bei einer Belastungsinkontinenz zudem auch ein Pessar verwenden. Dabei handelt es sich um ein kleines schalen-, ring- oder würfelförmiges Medizinprodukt aus Kunststoff, das in die Vagina eingeführt wird und durch Druck gegen die Scheidenwand den Harnleiter anhebt. Dadurch wird unfreiwilliger Harnverlust verhindert. Doch sowohl Pessare als auch Medikamente bewirken lediglich eine Linderung der Symptomatik, keine Heilung.

Nur eine Operation kann eine endgültige Lösung oder zumindest eine dauerhafte Verbesserung des Problems bringen. Bei einer Belastungsinkontinenz ist sie die Therapie der Wahl. Der Eingriff ist in der Regel risikoarm, er eignet sich somit meist auch für hochbetagte Menschen.
Bei einer Dranginkontinenz sollte man es hingegen zunächst einmal mit Medikamenten versuchen, welche die Blase beruhigen – also mit Anticholinergika wie etwa wie Trospiumchlorid, Tolterodin oder Propiverin. Eine Alternative ist das Beta-3-Mimetikum wie Mirabegron. Bei allen Medikamenten sollten aber die Nebenwirkungen und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten beachtet werden. Das nicht retardierte Oxybutynin ist im Alter wegen nachgewiesener kognitiver Nebenwirkungen nicht zu empfehlen. Hilfreich für die Auswahl einer adäquaten medikamentösen Therapie im Alter ist die Priscus-Liste, die zeigt, welche Wirkstoffe für ältere Menschen ungeeignet sind.

Falls die medikamentöse Therapie zu keiner ausreichenden Verbesserung führt, kann man es bei einer Dranginkontinenz (nach entsprechender Diagnostik) mit einer Botulinumtoxin-Therapie probieren. Bei dieser Therapieform wird Botulinumtoxin in die Blase injiziert. Die Blase wird dadurch entspannt und kann wieder eine größere Urinmenge aufnehmen. Allerdings kann diese Behandlung auch dazu führen, dass das Wasserlassen erschwert wird. Manche Patienten müssen sich nach einer solchen Behandlung selbst katheterisieren – das gilt es zu bedenken. Die Wirkung vom Botuliumtoxin dauert in der Regel sechs bis neun Monate an und müsste dann wiederholt werden. Alternativ besteht die Möglichkeit, eine sogenannte Neuromodulation durchzuführen. Hierbei werden Elektroden an den Nerven implantiert. Der Eingriff ist hier jedoch nicht ganz so leicht und sollte in speziellen Zentren durchgeführt werden.

Wie sollte die Intimhygiene bei harninkontinenten Menschen aussehen?

Ich rate davon ab, Seife oder Waschlotionen für die Reinigung zu verwenden, denn auf Dauer können sie die Schutzbarriere der Haut schädigen. Wasser reicht voll und ganz aus – weniger ist hier mehr. Gerade älteren Menschen empfehle ich zudem, eine parfümfreie fettende Creme im Intimbereich aufzutragen, wenn die Haut zu Trockenheit neigt.

Bei einer Dranginkontinenz, die auf eine Harnwegsinfektion zurückzuführen ist, können Betroffene Milchsäure-Salben verwenden. Die Milchsäurebakterien dämmen die Ausbreitung von Erregern ein.

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Der Tipp der Expertin

Trauen Sie sich bei Beschwerden, Ihren Hausarzt anzusprechen – Harninkontinenz kann ganz unterschiedliche Ursachen haben! In interdisziplinären Kontinenzzentren finden Sie Experten für alle Formen der Funktionsstörungen der Blase und des Beckenbodens.

Weiterführende Infos: Inkontinenzprodukte wie etwa Einlagen oder Netzhosen, aber auch Feuchtpflegetücher und Hautcremes finden Sie auf unserem Pflegehilfsmittelportal. Weitere Informationen über Formen, Ursachen und Prävention von Inkontinenz sowie Tipps für die Pflege und den Umgang mit Betroffenen gibt es in unserem Dossier „Pflege bei Inkontinenz“. Zum Thema Risiken, Neben- und Wechselwirkungen von Medikamenten empfehlen wir Ihnen unser Experten-Interview „Medikamente im Alter: Risiken minimieren“.

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