Medikation bei Demenz: Feste Rituale helfen

Demenzerkrankten Menschen Medikamente zu verabreichen, ist nicht immer einfach. Manche Betroffene lehnen die Medikation vehement ab und reagieren genervt oder sogar aggressiv auf ihre wohlmeinende Umgebung, wenn sie sich gedrängt fühlen, die Arzneimittel einzunehmen. Je nach Stadium der Erkrankung kann es außerdem vorkommen, dass der demenziell veränderte Mensch im  Zustand der Verwirrung etwa glaubt, man will ihn vergiften. Hier die richtige Balance zwischen medizinischer Notwendigkeit und Wahrung der individuellen Würde und Freiheit des oder der Demenzerkrankten zu finden, ist häufig sehr schwer und kann für Angehörige und Pflegekräfte sehr fordernd sein.

Dr. med. Cornelius Weiß, Arzt, Buchautor und Forscher im Bereich Psychoedukation von Angehörigen schwersterkrankter Menschen, engagiert sich seit Jahren ehrenamtlich in der Stiftung Demenzpaten und weiß, was es beim Umgang mit demenziell veränderten Personen alles zu beachten gilt. In unserem Interview erklärt er, warum die Medikamentengabe bei Demenzerkrankten oft eine besondere Herausforderung darstellt und wie Angehörige diese meistern können.  

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Herr Dr. Weiß, gibt es Medikamente, welche die demenziellen Veränderungsprozesse verschlimmern können?

In der Tat können manche Medikamente die Symptome einer Demenz verschlechtern. Ein klassisches Beispiel sind Bluthochdruckmittel. Diese können bei demenzerkrankten Menschen unter Umständen zum anderen Extrem führen: zu einem zu niedrigen Blutdruck. Dies hängt beispielsweise damit zusammen, dass demenziell veränderte Menschen oft zu wenig trinken, was den Blutdruck bereits senken kann. Nimmt der Patient oder die Patientin dann zusätzlich die Blutdrucktabletten, kommt es zu einer zu starken Senkung, was wiederum zu einer situativen Verschlechterung der Demenzsymptome führen kann. Es ist also sehr wichtig, dass der behandelnde Arzt Kenntnis von der Demenzerkrankung hat und diese bei der Medikamentenverordnung berücksichtigt.

Es empfiehlt sich zudem, regelmäßig mit dem Hausarzt über die verordneten Medikamente zu sprechen und zu schauen, ob ein Arzneimittel nicht auch abgesetzt werden könnte. Denn im Hinblick auf Medikamente gilt bei Demenz die Faustregel: So viel wie nötig, so wenig wie möglich. Solche Beratungsgespräche sind insbesondere dann wichtig, wenn bei der demenzerkrankten Person mehrere Erkrankungen gleichzeitig vorliegen („Multimorbidität“) und somit mehrere Tabletten eingenommen werden müssen – das ist häufig bei betagten Patienten der Fall.

Dr. med. Cornelius Weiß

Arzt, Buchautor und Forscher im Bereich Psychoedukation von Angehörigen schwersterkrankter Menschen

Wie sollte man Menschen mit Demenz die Medikamente am besten verabreichen?

Hier gilt das Gleiche wie beim generellen Umgang mit Betroffenen. In meinem Interview vom Themenmonat September („Demenz“) habe ich bereits das KOWELANO-Prinzip vorgestellt. Ein Kernpunkt dieses Prinzips ist: Sie können niemanden zwingen, und Sie können erst recht niemanden mit Gewalt zwingen. Beim Thema Medikamente gilt es also, auf empathische Weise Überzeugungsarbeit zu leisten. Schlucken muss jeder immer noch selbst.

Ansonsten ist es sinnvoll, zu versuchen, dem Betroffenen die Medikamente zu einer einzigen festen Tageszeit zu verabreichen – falls dies möglich ist. Zum Beispiel alle Medikamente nur morgens geben. Die Medikamentengabe wird dann zum festen Ritual und kann dadurch leichter akzeptiert werden.

Was müssen Angehörige des Weiteren bei der Medikamentengabe beachten?

Natürlich ist auch Geduld wichtig. Die Medikamenteneinnahme ist für eine demenzerkrankte Person ein komplexer Vorgang: Zuerst muss etwas aus einer Schachtel geholt werden, dann wird Wasser in einen Becher gegossen und schließlich muss der Schluckakt von etwas Hartem (die Pille) mit etwas Flüssigem (dem Wasser) gemeistert werden. Das sind alles Dinge, für die Betroffene hohe Konzentration benötigen, da sie je nach Stadium der Erkrankung unter immensen Einschränkungen leiden können. Hier gilt es, den Akt der Tabletteneinnahme mit viel Geduld und Hilfe zu gestalten. Und vor allem den Fehler zu vermeiden, den Betroffenen zu hetzen oder das zögerliche Vorgehen als „sich weigern“ oder „sich querstellen“ zu deuten. Häufig kann es den Betroffenen nämlich auch peinlich sein, nicht so recht zu wissen, was nun zu tun ist: Wo soll was genau wie rein und wie geht das?

Hetzerei kann bei Betroffenen eine Trotzreaktion hervorrufen. Eine bewusste Weigerung könnte nämlich für sie eine würdevollere Alternative darstellen, als zuzugeben, dass man etwas nicht so recht kann. Hier gilt es, zu helfen und Hürden abzubauen. Beispielsweise können die Tabletten schon komplett vorgefertigt in Medikamentenboxen für die entsprechende Tageszeit mit einem schon eingeschenkten Glas Wasser bereit stehen.

Was tun, wenn sich Betroffene weigern, die Medikamente zu nehmen?

Wichtig ist, erstmal herauszufinden, wo das Problem liegt. Wieso weigert sich der- oder diejenige? Gehen Sie auf Ihren Angehörigen ein und fragen Sie. Zeigen Sie hierbei echtes Verständnis und vermeiden Sie eine Konfrontation, die dem Betroffenen suggeriert, er sei unnachvollziehbar. Versuchen Sie, Ängste abzubauen.  

Was können Angehörige noch tun, damit die demenzerkrankte Person die Medikamente akzeptiert?

Man muss sich dessen bewusst sein, dass niemand gerne Medikamente nimmt, schon gar nicht, wenn es dreimal am Tag sein muss – und noch weniger, wenn ich den Tabletten negative Wirkungen zuschreibe. Man muss es gut erklären und äußere Hindernisse abbauen. Einfachste Dinge können hier eine Rolle spielen: Schmeckt das Getränk, mit dem die Tabletten verabreicht werden? Kann der Becher oder die Tasse gut gehalten werden? Können große Tabletten auch zerkleinert werden? Gibt es offensichtliche Nebenwirkungen, die durch ein Alternativpräparat vermieden werden können?

Eine sinnvolle Vorgehensweise ist, ein Ritual zu etablieren, das positiv besetzt ist. Es soll sich gut anfühlen. Betroffene sollten auf keinen Fall morgens mit Gänsehaut auf dem Rücken die knarzende Medikamentenschublade und unangenehmes Blistergeknister hören, unmittelbar nachdem sie aus dem Schlaf gerissen wurden. Und dann werden sie noch mit einer kalten Hand am Nacken gehalten und haben einen Becher mit eiskaltem Wasser am Mund – und hören die übliche entwürdigende Anweisung: „Nimm das! Das ist gut für dich! Das musst du nehmen!“

Lassen Sie den Betroffenen erst einmal im Hier und Jetzt ankommen und wach werden. Es ist ja für viele von uns schon schwer genug, sich nach dem Aufwachen zu sortieren. Dann kann der- oder diejenige etwa zum Earl-Grey-Tee und einem Marmeladenbrot mit Butter vor dem ersten Bissen die Medikamente nehmen. Das erfordert Geduld, wird aber nach einiger Zeit zur Routine. Die Medikamente sind nicht mehr so schlimm, weil es danach als „Belohnung“ mit dem Marmeladenbrot weitergeht.

Der Tipp unseres Experten:
1.Bleiben Sie Geduldig und verständnisvoll (KOWELANO).
2. Versuchen Sie (wenn möglich), die Einnahmezeitpunkte zu reduzieren.
3. Bauen Sie Hürden ab (Medikamente vorbereiten, schmackhafte, praktische Darbietung etc.)
4. Etablieren Sie ein Ritual.

Weiterführende Infos: Lesen Sie auch unseren Artikel „Medikamente richtig lagern“. Mehr Informationen rund um das Thema Demenz finden Sie in unserem Dossier „Alzheimer und andere Formen der Demenz“ sowie in unserem Beitrag „Pflege bei Demenz“.

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