Tai Chi als Sturzprophylaxe

Zahlreiche Veränderungen im Alternsverlauf führen zu einem erhöhten Sturzrisiko. Diese Stürze können zu schweren Verletzungen (z. B. Hüftfrakturen) aber auch Angst vor spezifischen Aktivitäten führen. Insgesamt kann die Lebensqualität so stark und dauerhaft beeinträchtigt werden. Zu den häufigsten Sturzursachen gehören die Verschlechterung von Muskelkraft und Balance. Diese können durch ein geeignetes Training erhalten und verbessert werden. Nicht jede Form des körperlichen Trainings verringert das Sturzrisiko, aber Studien haben gezeigt, dass Tai Chi (Taiji) eine geeignete Methode ist.

Auch wenn dies nicht sofort zu erkennen ist, handelt es sich bei Tai Chi ursprünglich um eine fernöstliche Kampfkunst, deren Bewegungen zur Verteidigung genutzt werden können. Heute von größerer Bedeutung ist jedoch der therapeutische Aspekt des Tai Chi.

Dr. Daniel Schöne von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg erläutert Forschungsergebnisse und erklärt, warum Tai Chi für Senioren besonders geeignet ist.

Tai Chi

Herr Schöne, kann Tai-Chi-Training zu besseren Ergebnissen hinsichtlich der Sturzprävention führen als normale Seniorengymnastik? Was sagt die Forschung?

Die Wirksamkeit von Tai Chi zur Vorbeugung von Stürzen wurde bisher in mehr als zehn qualitativ guten Studien untersucht. Fasst man diese zusammen (in einer sogenannten Metanalyse), ergibt sich eine Reduktion des Sturzrisikos um etwa 30 Prozent. Das bedeutet: Rund 3 von 10 Stürzen können verhindert werden. Obwohl nicht alle Studien erfolgreich waren, konnten diese Effekte sowohl bei recht fitten als auch gebrechlichen Menschen erreicht werden, sowie bei Patienten mit einer Parkinsonerkrankung.

Generell gilt, dass ein dauerhaftes Training zu größeren Erfolgen führt. Aber mindestens vier Monate sollte ein Kurs dauern, bei wenigstens zweimaligem Training in der Woche.

Im Vergleich zur verbreiteten Seniorengymnastik, bei der viel im Sitzen und Liegen trainiert wird, ist Tai Chi besser geeignet, wenn das Ziel ist, das Sturzrisiko zu senken. Und Studien haben interessanterweise auch gezeigt, dass selbst das unter Senioren beliebte Walking keinen besonderen Wert für die Sturzprophylaxe hat.

Dr. Daniel Schöne

Bewegungswissenschaftler an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Wenn also mit Tai Chi bessere Ergebnisse erzielt werden – woran liegt das? Warum ist Tai Chi effektiver?

Durch Tai Chi als Bewegungsform werden zahlreiche Risikofaktoren positiv beeinflusst: In Bezug auf Stürze sind das unter anderem die Balance, der Gelenk- und Bewegungssinn, der Gang und die Kraft. Obwohl Tai Chi in der Regel langsam ausgeführt wird, konnte auch gezeigt werden, dass sich die Reaktionszeit der Beine verbessert. Diese Muskeln sind bei einem Verlust der Balance besonders gefragt, um schnell und akkurat zu reagieren. Außerdem wird durch das Tai-Chi-Training auch der Geist geschult und Bereiche im Gehirn trainiert, welche auch mit einem erhöhten Sturzrisiko verbunden sind. Und schließlich hat sich gezeigt, dass auch die Angst zu stürzen nach dem Training geringer ist, weil die Menschen mehr Vertrauen in ihre Fähigkeiten haben (die sogenannte Selbstwirksamkeit).

Der Schlüssel zur Wirksamkeit liegt daher wohl im Ansprechen ganz verschiedener relevanter Risikofaktoren, denn auch Stürze im Alter sind oft nicht nur einem, sondern dem Zusammenkommen mehrerer Faktoren geschuldet.

Beim Tai Chi handelt es sich ja um eine traditionelle ostasiatische Kampfsportart. Ist die Verletzungsgefahr da nicht größer als bei gewöhnlicher Seniorengymnastik?

Nein. Tai Chi gilt als besonders seniorenfreundliche Bewegungsform, da es langsam und kontrolliert durchgeführt wird. Es ist darüber gut individuell anpassbar. Da sich die Koordination verbessert und das muskuläre Korsett gestärkt wird, kann man davon ausgehen, dass das generelle Verletzungsrisiko reduziert wird, auch über Stürze hinaus. Beim motivierten Praktizierenden kann es aber durchaus zum Muskelkater kommen.

Können Senioren Tai-Chi-Übungen auch selbstständig zu Hause erlernen und durchführen, etwa durch Video-Tutorials? Oder ist ein/e Tai Chi Lehrer/in unverzichtbar?

Wie bei anderen Tätigkeiten ist das Typsache. Wer seinen inneren Schweinhund überwinden kann, für den kann Tai Chi das perfekte Training sein, welches zu Hause oder auch draußen in der Natur alleine durchgeführt werden kann. Wer einen Internetzugriff hat, kann über Plattformen wie Youtube auch Tai Chi lernen und praktizieren. Es gibt auch jede Menge Bücher zum Thema, aber erfahrungsgemäß stehen diese eher im Schrank. Für die meisten Menschen ist das Erlernen bei einem erfahrenen Lehrer von Vorteil, um Fehler von Beginn an zu vermeiden. Generell gilt, je gebrechlicher eine Person ist, umso wichtiger ist das Training mit Lehrern, um Fortschritt und Sicherheit zu gewährleisten.

Welche Vorteile bietet Tai-Chi-Training für Senioren zusätzlich zur Sturzprophylaxe?

Körperliche Aktivität im Allgemeinen und spezifische Sportarten und Bewegungsformen im Speziellen haben ein weites Wirkspektrum, welches körperliche, psychische und mentale Bereiche umfasst. Über 500 Tai-Chi-Studien existieren bereits. So konnte gezeigt werden, dass Tai Chi zur Behandlung depressiver Symptome aber auch von Bluthochdruck und chronischen Atemwegserkrankungen geeignet ist. Auch kann es eine kardiologische Rehabilitation unterstützen oder die Behandlung nach einem Schlaganfall. Die mentale Leistungsfähigkeit kann erhalten oder verbessert werden und der Schlaf wird positiv beeinflusst. Auch Symptome von Arthrose können reduziert werden, beispielsweise Gelenkschmerzen und Steifigkeit. Die körperliche Leistungsfähigkeit und Mobilität werden verbessert, was für viele Aspekte des täglichen Lebens von enormer Bedeutung ist.

Es gibt zahlreiche weitere Hinweise auf die Wirksamkeit von Tai Chi, jedoch ist die Studienlage zum Teil noch recht dürftig, um feste Schlussfolgerungen zu ziehen. Der Nachweis für den Selbstverteidigungsaspekt wurde bei älteren Menschen bisher übrigens nicht systematisch untersucht und ist nur anekdotisch überliefert.

Der Tipp des Experten: Viele ältere Menschen fühlen sich nicht sturzgefährdet. Aber vorbeugen ist besser als heilen – das gilt auch für Knochenbrüche. Einmal passiert, ist die mehrwöchige Immobilität oftmals der Beginn einer Abwärtsspirale, die mit dem Verlust der Selbstständigkeit endet. Daher der Tipp: Warten Sie nicht mit dem Beginn des Trainings, sondern profitieren Sie sofort von den vielseitigen positiven Auswirkungen von Bewegung und Sport.

Weiterführende Infos: Es gibt noch viele weitere Maßnahmen, um Sturzrisiken zu verringern. Lesen Sie dazu auch unsere anderen Experteninterviews zum Thema Sturzprophylaxe. Unser großes Informationsportal behandelt noch viele weitere spannende Themen rund um Pflege und Älterwerden. Stöbern Sie einfach mal rein.

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