Technische Hilfen für die Sturzerkennung und ‑prophylaxe

Die Gefahr eines Sturzes ist bei Senioren um ein Vielfaches höher als bei jungen Menschen, da im Alter Muskelkraft und Koordinationsfähigkeit nachlassen. Gerade für ältere Menschen können Stürze verheerende Folgen haben und die Mobilität dauerhaft einschränken. Das kann mit einem Verlust der Selbstständigkeit einhergehen; Vereinsamung und Isolation sind nicht selten die Folgen.

Schätzungen zufolge stürzen rund 30 Prozent der Menschen, die älter als 65 Jahre sind, mindestens einmal im Jahr. Bei den Senioren über 80 sind es mehr als 40 Prozent. Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohner sind besonders gefährdet: Mehr als die Hälfte von ihnen erleidet mindestens einmal jährlich einen Sturz.

Heutzutage gibt es zahlreiche technische Lösungen, die Stürze in Echtzeit erkennen und dabei helfen, sie zu vermeiden. Welche das sind, verrät uns Christian Kind, Geschäftsführer von nevisQ, einem Aachener Unternehmen für innovative Technik in der Pflege.

Sensor technische Hilfsmittel für altersgerechte Wohnung
Beispiel für ein vernetztes Sensorsystem mit Beleuchtung

Herr Kind, welche technischen Lösungen bietet der Markt in den Bereichen Sturzerkennung und Sturzprävention?

Die wohl bekannteste Lösung am Markt sind Sensormatten, die vor den Betten platziert werden. Sie schlagen allerdings nur Alarm, wenn das Bett verlassen wird und nicht wenn es zu Stürzen kommt. Außerdem sind Notrufknöpfe, welche die sturzgefährdete Person entweder bei sich trägt oder die fest an einer Stelle installiert sind, sehr verbreitet. Diese Lösungen haben jedoch einige Nachteile. So gehen die Senioren oft um die Matten herum. Und ein Notrufknopf ist nur dann hilfreich, wenn die Nutzerinnen und Nutzer in der Lage sind, ihn zu betätigen. Diese Probleme kann man mit modernen Sensoren-Systemen umgehen. Hier gibt es verschiedene Lösungen, zum Beispiel Sensorböden, 3D-Sensoren oder eben unsere „intelligente Fußleiste“.

Christian Kind

Christian Kind

Co-Gründer und Geschäftsführer bei nevisQ

Wie funktioniert ein normaler Sturzmelder?

In der Regel werden Stürze nur erkannt, wenn die betroffene Person Hilfe über den Notrufknopf anfordert. Das kann dazu führen, dass Betroffene stundenlang auf dem Boden liegen und auf Hilfe warten müssen, wenn sie nicht mehr in der Lage sind, den Notrufknopf zu betätigen Um das zu vermeiden, wurden spezielle Sturzmeldesysteme mit Sensorik entwickelt, die Stürze automatisch erkennen, sodass kein Knopfdruck mehr erforderlich ist.

Wodurch zeichnet sich denn Ihre Lösung aus?

Wir haben ein Sensorband auf Infrarotbasis entwickelt, das wie eine Fußleiste ringsherum im Raum angebracht wird. Dieses spannt ein unsichtbares Netz aus Infrarotstrahlen über den Boden, das Unterbrechungen erkennt. Kommt es zu einem Sturz, löst das System automatisch einen Alarm aus. Der oder die Gestürzte muss dabei weder selbst aktiv werden noch etwas bei sich tragen. Das ist wohl der größte Unterschied zu den meisten Lösungen am Markt. Außerdem ist unser Produkt mit wenig Aufwand nachrüstbar und kann schnell und unkompliziert installiert werden. Aktuell ist es allerdings nur für Pflegeeinrichtungen und nicht für private Haushalte ausgelegt.

Inwiefern können technische Lösungen auch der Sturzprävention dienen?

In den meisten Fällen kommt es schon vor einem schwerwiegenden Sturz mit gesundheitlichen Folgen zu einem oder mehreren kleinen Stürzen. Diese werden aber häufig nicht erkannt und von den Senioren verschwiegen. Sensorbasierte Lösungen erkennen auch kleinere Stürze zuverlässig. So können schon frühzeitig, und vor allem individuell, Maßnahmen zur Prävention eingeleitet werden. Zum Beispiel kann ein Nachtlicht installiert werden, das sich bei Bewegung automatisch einschaltet und im Dunkeln Orientierung gibt. Aber auch ein Bett-Verlassen-Alarm hilft, Stürze zu vermeiden. Damit kann das Pflegepersonal sofort und diskret alarmiert werden, wenn ein Bewohner das Bett verlässt. So können Pflegekräfte sofort herbeieilen, falls erforderlich.

Bei unserer Lösung gibt es eine Software, in die auch statistische Daten aufgenommen werden können. Diese betreffen beispielsweise die nächtlichen Laufwege oder die nächtlichen Aktivitäten der sturzgefährdeten Person. Anhand dieser Daten können gezielte Maßnahmen zur Sturzprävention eingeleitet werden.

Thema Datenschutz: Dürfen überhaupt „Überwachungsdaten“ wie Daten zu den „nächtlichen Laufwegen“ in einer Software ohne Weiteres gespeichert werden?

Natürlich muss man die Daten der Bewohner, Besucher und Mitarbeiter schützen, gerade in diesem Bereich. Die Bewohner beziehungsweise die Bevollmächtigten müssen der Datenverarbeitung über ein Formular natürlich schriftlich zustimmen. Dafür ist die Einrichtung zuständig. Wir selbst arbeiten mit einem externen Datenschutzbeauftragten zusammen, der auf das Gesundheitswesen spezialisiert ist. Die Daten werden durch umfassende Sicherheitsmaßnahmen geschützt: Alle Aktivitäten werden pseudonymisiert und die verschiedenen Kommunikationswege verschlüsselt. Viele Dinge passieren bei unserer Lösung außerdem direkt im lokalen Netz der Einrichtung, sodass die Daten das Haus nicht verlassen. 

Der Tipp unseres Experten: Das Durchschnittsalter für den Einzug in Heime wird in Zukunft weiter steigen und damit auch die Sturzgefahr. Deshalb sollten Pflegeeinrichtungen schon heute darauf achten, dass Investitionen in ein Sturzmeldesystem zukunftsfähig sind und Hardware zum Einsatz kommt, die langlebig und dabei einfach zu bedienen ist.

Weiterführende Infos: Wenn Sie mehr zum Thema wissen möchten, lesen Sie auch die anderen Experteninterviews zum Thema „Sturzprophylaxe“. Auch im Bereich „Technische Hilfsmittel“ gibt es Tipps zu Technik, die das Leben für pflegebedürftige Menschen erleichtert und auch Sturzrisiken verringern kann. Imformationen und Hinweise zum Thema smarte Haustechnik finden Sie auch in unserem Experten-Interview „Smarthome: Komfort und Sicherheit im Alter“.

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